Menschlicher Körper

Wenn der Darm spricht, führt das Gehirn aus

Werden Immunität, Stoffwechsel und Gehirnfunktionen möglicherweise direkt von der bakteriellen Aktivität der Darmmikrobiota moduliert? Ein Team von Wissenschaftlern hat herausgefunden, dass Neuronen im Hypothalamus Veränderungen in der bakteriellen Aktivität der Darmmikrobiota direkt erkennen und dadurch Appetit und Körpertemperatur regulieren. Dies eröffnet neue Wege zu alternativen Behandlungsansätzen für Stoffwechselstörungen wie Diabetes oder Fettleibigkeit.

Die Darmmikrobiota stellt das größte Bakterienreservoir des Körpers dar. Immer mehr Arbeiten zeigen, wie sehr der Wirt und seine Darmmikrobiota voneinander abhängen, und unterstreichen die Bedeutung der Darm-Hirn-Achse. Am Institut Pasteur haben Neurobiologen der Einheit Wahrnehmung und Gedächtnis (Institut Pasteur/CNRS), Immunbiologen der Einheit Mikroumgebung und Immunität (Institut Pasteur/Inserm) und Mikrobiologen der Einheit Biologie und Genetik der Bakterienwand (Institut Pasteur/CNRS/Inserm) ihre Expertisen zusammengelegt, um zu verstehen, wie Darmbakterien die Aktivität bestimmter Neuronen im Gehirn direkt beeinflussen können.

Die Wissenschaftler interessierten sich besonders für den NOD2-Rezeptor (Nucleotide Oligomerization Domain), der im Inneren von Zellen, insbesondere von Immunzellen, vorkommt. Dieser Rezeptor erkennt das Vorhandensein von Muropeptiden, Verbindungen aus Bakterienwänden, die als Nebenprodukte der Darmmikrobiota angesehen werden können. Außerdem war bereits bekannt, dass Varianten des Gens, das für den NOD2-Rezeptor kodiert, mit bestimmten Erkrankungen des Verdauungssystems, wie Morbus Crohn, aber auch mit bestimmten neurologischen Erkrankungen oder Stimmungsstörungen in Verbindung gebracht werden.

Wenn der NOD2-Rezeptor versagt

Diese Daten ließen bislang nicht auf einen direkten Zusammenhang zwischen der Funktion der Neuronen im Gehirn und der bakteriellen Aktivität im Darm schließen. Dies hat das Konsortium von Wissenschaftlern in dieser neuen Studie, die am 15. April 2022 in Science veröffentlicht wurde, ans Licht gebracht.

wenn der darm spricht fuhrt das gehirn aus 300x169 - Wenn der Darm spricht, führt das Gehirn ausMithilfe von bildgebenden Verfahren im Gehirn beobachteten die Wissenschaftler zunächst bei Mäusen, dass der NOD2-Rezeptor von Neuronen in verschiedenen Regionen des Gehirns exprimiert wird, vornehmlich in einem Zentrum namens Hypothalamus. Anschließend entdeckten sie, dass die elektrische Aktivität dieser Neuronen unterdrückt wird, wenn sie auf bakterielle Muropeptide aus dem Darm treffen. Muropeptide werden von den Bakterien freigesetzt, wenn sie sich vermehren.

„Die Muropeptide, die im Darm, im Blut und im Gehirn vorkommen, gelten als Marker für die bakterielle Proliferation“, erklärt Ivo G. Boneca, Leiter der Abteilung Biologie und Genetik der Bakterienwand am Institut Pasteur (CNRS/Inserm).

Umgekehrt werden diese Neuronen bei einem Ausfall des NOD2-Rezeptors nicht mehr von den Muropeptiden unterdrückt; das Gehirn verliert dann die Kontrolle über die Nahrungsaufnahme und die Körpertemperatur. Infolgedessen nehmen die Mäuse an Gewicht zu und sind anfälliger für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes, insbesondere bei älteren Weibchen.

Ein neuer therapeutischer Ansatz gegen metabolische oder neurologische Störungen

Erstaunlicherweise haben die Wissenschaftler hier gezeigt, dass es die Neuronen sind, die die bakteriellen Muropeptide direkt wahrnehmen, während diese Aufgabe normalerweise den Zellen des Immunsystems obliegt. „Es ist erstaunlich, dass bakterielle Fragmente direkt auf ein so strategisches Nervenzentrum wie den Hypothalamus einwirken, der für die Steuerung lebenswichtiger Funktionen wie Körpertemperatur, Fortpflanzung, Hunger oder Durst bekannt ist“, kommentiert Pierre-Marie Lledo, CNRS-Forscher und Leiter der Abteilung Wahrnehmung und Gedächtnis am Institut Pasteur.

So scheinen die Neuronen die bakterielle Aktivität (Vermehrung und Absterben) zu erkennen, um die Auswirkungen der Nahrungsaufnahme auf das Ökosystem des Darms direkt zu messen. „Es ist möglich, dass eine übermäßige Nahrungsaufnahme oder ein bestimmtes Nahrungsmittel die übertriebene Ausbreitung bestimmter Bakterien oder Krankheitserreger fördert und so das Gleichgewicht im Darm gefährdet“, betont Gérard Eberl, Leiter der Abteilung Mikroumgebung und Immunität am Institut Pasteur (Inserm).

Angesichts des Einflusses der Muropeptide auf die Neuronen des Hypothalamus und den Stoffwechsel stellt sich die Frage nach ihrer Rolle bei anderen Gehirnfunktionen und damit auch nach dem Zusammenhang zwischen bestimmten Gehirnerkrankungen und genetischen Varianten von NOD2. Diese Entdeckung ebnet den Weg für neue interdisziplinäre Projekte der drei Forschungsteams und letztendlich für neue therapeutische Ansätze gegen Gehirnerkrankungen oder Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes und Fettleibigkeit.

Urhebender Autor: Redaktion Futura

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