
Außergewöhnliches Wetterphänomen: Derecho, eine extrem gewaltige Gewitterlinie.
Wenn man an die stärksten und zerstörerischsten Windphänomene auf unserem Planeten denkt, kommen einem sofort zwei Wetterphänomene in den Sinn: Hurrikane und Tornados. Aber es gibt noch ein weiteres, ebenso heftiges Phänomen, das in der Lage ist, ein großes Ausmaß an größeren Schäden zu verursachen: der Derecho.
Weniger bekannt, seltener, aber manchmal genauso zerstörerisch ist der Derecho. Im Gegensatz zu Hurrikanen und Tornados erzeugt der Derecho extreme Winde auf einer geraden Linie: Daher auch sein Name, der auf Spanisch „geradeaus“ bedeutet. Derechos sind in Europa selten, im Durchschnitt ereignet sich einer alle 2 bis 4 Jahre. In Nordamerika hingegen liegt der Durchschnitt bei knapp 1 pro Jahr, dem stehen etwa 20 zyklonale Phänomene und rund 1000 Tornados gegenüber. In den USA ist das Ohio Valley das am stärksten betroffene Gebiet.
Eine Gewitterlinie von mindestens 400 Kilometern Länge.
Ein Derecho ist eigentlich eine sehr heftige Gewitterlinie, die mehrere Merkmale erfüllt, die 1981 definiert und 1987 präzisiert wurden, wie das Observatorium Keraunos erläutert :
- die Gewitterlinie muss sich über mindestens 400 Kilometer erstrecken und mindestens 100 Kilometer breit sein
- ein lineares Fortschreiten dieser Gewitterzone
- Böen unter den Gewittern von mindestens 90 km/h, davon mindestens drei verschiedene von mindestens 120 km/h, die wiederum mindestens 64 Kilometer voneinander entfernt sind
- keine Unterbrechung von mehr als 3 Stunden zwischen zwei konvektiven Böen von mehr als 90 km/h.
Zyklone (Hurrikane oder Taifune) sind in der Lage, sehr heftige Gewitter zu erzeugen, aber der Derecho ist ein anderes Phänomen. Er wird von einem außertropischen mesoskaligen konvektiven System (MCS), also einer Ansammlung von Gewittern, erzeugt.

© NOAA -Ein Derecho mit sämtlichen Blitzen der Sturmfront, der im August 2020 über den Mittleren Westen der USA zieht.
Kann man einen Derecho vorhersagen?
Die Vorhersage von klassischen Gewittern ist schon sehr schwierig, aber die Vorhersage von Derechos ist es noch mehr. Je größer der Kontrast zwischen einer Zufuhr feuchter Luft über trockener Luft ist, desto größer ist das Risiko. Gerade dieser Unterschied in den Luftströmen und -massen ist die Ursache für die Verdunstung der Feuchtigkeit, die ihrerseits die Luft abkühlt. Diese kältere Luft ist dicht und kollabiert, ein Mechanismus, der das Auftreten von starken Fallböen verursacht. Die Gewitter werden stärker und häufen sich auf der gleichen Linie.
Man spricht dann von einem Derecho, wenn dieses Phänomen mehrfach und über große Entfernungen auftritt. Auf Radarbildern sieht man dann ein sogenanntes „bow echo“, eine gekrümmte Linie von Gewittern, die alle in die gleiche Richtung ziehen.
Severe weather continued overnight across southern China. I think this radar loop pretty much speaks for itself. It will be interesting to see if this gets classified as a derecho. No word on damages or injuries yet. (NMC) pic.twitter.com/Fw6ssrw8TD
— Nahel Belgherze (@WxNB_) April 19, 2023
Ein Rekord- Derecho in Europa
Es gibt „Super Derechos“, die umfangreichsten und extremsten, zu denen auch das jüngste Ereignis in Europa gehören könnte. Eines der heftigsten Derechos in der Geschichte der europäischen Meteorologie ereignete sich am 18. August 2022. Das vom CNRS als „außergewöhnlich“ bezeichnete Phänomen erstreckte sich über 800 Kilometer zwischen Korsika, Italien, Österreich, Slowenien und der Schweiz.
In Marignana auf Korsika wurden Windgeschwindigkeiten von 225 km/h gemessen, ein absoluter Rekord, 206 km/h in L’Ile Rousse und 158 km/h in Ajaccio.
Après différentes analyses et vérifications, l’épisode orageux qui a notamment endeuillé la #Corse ce 18/08/2022, peut être qualifié de "derecho". Il figure d’ores et déjà comme l’un des événements météorologique les plus marquants qu’ait connu l’Europe dans l’histoire moderne 🧵 pic.twitter.com/OPTxuIhYt7
— Nahel Belgherze (@WxNB_) August 19, 2022
Zwölf Menschen starben, fünf davon auf Korsika, und über 100 weitere Personen wurden verletzt. Die Intensität dieses Derechos wurde sicherlich durch das ungewöhnlich warme Wasser des Mittelmeers im Sommer 2022 verstärkt, wie das CNRS in einer diesem verheerenden Phänomen gewidmeten Studie feststellte.
Redaktion: Futura, verfasst von Karine Durand.
Titelbild: © apithana, Adobe stock -Der Arcus ist eine Wolke, die häufig bei einer Derecho-Situation auftritt
2.Abbildung: © NOAA -Ein Derecho mit sämtlichen Blitzen der Sturmfront, der im August 2020 über den Mittleren Westen der USA zieht.

Marlene ist seit 25 Jahren Fotografin und Künstlerin. Ihre Leidenschaft für Sprachen und interkulturelle Kommunikation entwickelte sie durch internationale fotojournalistische Arbeiten. Heute nutzt sie ihre weitreichende Erfahrung auch als Korrekturleserin und übersetzt journalistische Artikel vom Französischen ins Deutsche. Marlene stellt sicher, dass jeder Text seine Authentizität bewahrt und an die sprachlichen sowie kulturellen Besonderheiten des deutschsprachigen Publikums angepasst wird.

