Technik

Typisch Schweizerisch? Wirtschaft zwischen Tradition, Finanzwelt und Digitalisierung

Wer an die Schweiz denkt, hat sofort bestimmte Assoziationen im Kopf: ob Berge und Alphörner, Banken und Reichtum oder Käse und Schokolade. Damit einher gehen auch ein paar typische Wirtschaftszweige, für die der eidgenössische Staat zu stehen scheint, wie etwa der Tourismus, die Finanzbranche oder Segmente der Lebensmittelindustrie. Doch spielen traditionelle Geschäftsfelder wie diese in heutigen Zeiten tatsächlich noch immer eine tragende Rolle in der Schweiz? Wie haben die fortschreitenden Faktoren der Digitalisierung und Globalisierung das Land verändert und welche Umbrüche stehen noch bevor?

Unternehmen spüren Veränderungsdruck

Zunächst ist über die meisten Branchen hinweg festzuhalten, dass schweizerische Unternehmen mehrheitlich einen Zwang zum Wandel empfinden ‒ wie in nahezu allen Industrieländern der westlichen Welt. Dies untermauert eine Umfrage der Wirtschaftsberatungsgesellschaft Staufen Inova aus dem Jahr 2020: So haben sich gut 70 Prozent der befragten Firmen aus Industrie, Dienstleistung und Handel nach eigener Einschätzung in den vergangenen Jahren stark oder sogar sehr stark verändert. Ebenso viele gaben jedoch an, die Transformation so behutsam durchführen zu müssen, dass bestehende Geschäftsmodelle nicht gefährdet werden. Die Unternehmen der Schweizer Wirtschaft sind also offenbar hin- und hergerissen zwischen dem Erhalt altbewährter Stärken und dem Aufbruch in die Zukunft.

Automatisierung fordert Branchen unterschiedlich

automatisierung fordert schweizer branchen unterschiedlich 300x163 - Typisch Schweizerisch? Wirtschaft zwischen Tradition, Finanzwelt und DigitalisierungAuch wenn sich bei der Einschätzung der generellen Lage die Vertreter aller Wirtschaftszweige einig sind, gibt es beim Ausmaß der Veränderungswucht Unterschiede. Wie eine weitere Studie der Unternehmensberater von Deloitte zur Automatisierung in der Schweiz zeigt, steht besonders die Land- und Forstwirtschaft unter Beschuss. In dieser Branche sind gut dreiviertel aller Beschäftigten der Gefahr ausgesetzt, künftig durch mehr Automatisierung ihren Job zu verlieren. Auch die Bereiche Handel, Verkehr und Lagerwirtschaft weisen demnach eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für weitreichende Automatisierungen auf. Überraschend gering ist dieser Anteil in den Branchen Öffentliche Verwaltung, Gesundheits- und Sozialwesen sowie Information und Kommunikation. Die positive Umkehrung der zunehmenden Automatisierung ist, dass sie die Preise vieler Güter absenkt, wodurch sich die Produktnachfrage erhöht und wiederum neue Jobs an anderer Stelle geschaffen werden. Beschäftigungsprognosen zufolge sollen deshalb, trotz aller Digitalisierung und Automatisierung, in der Schweiz bis 2025 netto 270.000 neue Stellen entstehen. Zunehmend wichtig wird, dass die Unternehmen mit einem klugen Mix aus Technologie und Strategie auf den Wandel reagieren. Der Deloitte-Studie nach tun sie das bereits. So nehmen im verarbeitenden Gewerbe immer häufiger Industrieroboter und 3D-Drucker eine wichtige Stellung ein und im Detailhandel setzen viele Firmen auf automatisierte Verkaufs- und Kassensysteme. Digitale Vermögensverwaltung samt Robotik sind bei den Finanzdienstleistern auf dem Vormarsch und die Öffentliche Verwaltung setzt vermehrt auf elektronische Systeme statt auf Papier. Für all diese Umstellungen ist eine Strategie vonnöten, bei der aktuell verfügbare Technologien in ihrem jeweiligen Nutzen bewertet und bei Bedarf schrittweise eingeführt werden. Entsprechende Risiken während des Rollouts und nach abgeschlossener Implementierung müssen zugleich mitbedacht werden. Die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine ist dabei stets im Blick zu behalten. So lassen sich beispielsweise Produktionsprozesse optimieren, Kosten senken, Produktqualitäten erhöhen und Interaktionen mit Kunden und Lieferanten verbessern. Auch die Produktivität der Mitarbeitenden steigt, wenn sie sich auf das Wesentliche konzentrieren können.

Sektoren und ihr Stellenwert

In jedem der klassischen drei Wirtschaftssektoren hat die Schweiz ein paar Branchen aufzuweisen, die die Ökonomie des Landes entscheidend mitprägen:

  1. Im Primären Sektor, der die Bereitstellung von Rohstoffen betrifft, sind für die Schweizer Wirtschaft etwa diese Branchen bedeutsam:
  • Land- und Forstwirtschaft
  • Bergbau
  • Energieerzeugung
  1. Der Sekundäre Sektor, der sich um die Verarbeitung der Rohstoffe kümmert, beinhaltet diese zentralen Branchen:
  • Nahrungs- und Genussmittel
  • Uhrenherstellung
  • Elektrotechnik
  • Metallverarbeitung
  • Chemie
  • Textilproduktion
  • Baugewerbe
  1. Für den Tertiären Sektor, der sämtliche Dienstleistungen umfasst, können als tonangebende Branchen folgende deklariert werden:
  • Banken und Finanzdienstleister
  • Versicherungen
  • Handel
  • Tourismus

Der Dienstleistungssektor ist dabei nach Ansicht der meisten Ökonomen inzwischen der wichtigste innerhalb der Schweizer Wirtschaft. Das liegt schon alleine an seiner Größe. Wie das Statistische Bundesamt mit letzten Daten aus dem Jahr 2020 ermittelt hat, entfallen von rund 593.000 marktwirtschaftlichen Unternehmen der Eidgenossenschaft über 450.000 auf den Tertiären Sektor. Ein weiterer Grund ist aber auch der hohe Qualitätsstandard, den viele Branchen im Tertiärsektor erreicht haben und mit dem sie sich auf dem Weltmarkt behaupten können. Die Dienstleistungsgesellschaft der Schweiz hat im Rahmen dessen bereits unter Beweis gestellt, dass sie wandlungsfähig ist und es spricht wenig dagegen, dass dies so bleibt. Schließlich sind auch die anderen beiden, deutlich kleineren Sektoren insgesamt recht stabil, auch wenn der Primärsektor vor allem wegen der stark vom Staat subventionierten und wenig innovativen Landwirtschaft schwächelt.

KMU als Träger der Ökonomiegesellschaft

Aus der Erhebung des Statistischen Bundesamtes geht zudem hervor, dass über 99 Prozent aller Unternehmen der Schweiz aus dem kleinen und mittleren Größensegment kommen. Das bedeutet, dass diese Kleinen und Mittleren Unternehmen (KMU) zwangsläufig auch in Zukunft das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft bleiben werden. Deshalb sind sie regelrecht dazu verdammt, Innovationen voranzutreiben, um den Standort international wettbewerbsfähig zu halten. Trotz aller Zögerlichkeit beim Implementieren von Transformationsprozessen stehen die Chancen jedoch nicht schlecht, dass die KMU diese Aufgabe meistern werden, denn: Diese Vielzahl an KMU ist letztlich nichts anderes als eine Folge des erstarkten Dienstleistungssektors, der für eine immer ausdifferenziertere Arbeitsteilung sorgt. Insofern schließt sich der Kreis zur anpassungsfähigen Dienstleistungsgesellschaft, die durch die KMU getragen wird. Ein unterstützender Faktor ist, dass einige jener Branchen, denen Ökonomen und Soziologen eine hohe Zukunftsträchtigkeit für die Schweiz attestieren, ebenfalls aus dem Tertiären Sektor stammen. Darunter befinden sich etwa neue Humandienstleistungen wie Personal- und Lifestyle-Coaching oder Sicherheitsdienstleistungen wie bei privatem Personenschutz und Daten-Handling. Doch auch im Primär- und Sekundärsektor machen die Wissenschaftler zukunftsweisende Branchen aus: Von Energiegewinnung über Hightech-Medizin bis hin zur Kommunikationstechnologie hat die Schweiz viel Potenzial zu bieten.

Berühmte Schweizer Branchen im Umbruch

beruhmte schweizer branchen im umbruch 300x199 - Typisch Schweizerisch? Wirtschaft zwischen Tradition, Finanzwelt und DigitalisierungBeim Blick auf dieses Potenzial stellt sich umso mehr die Frage, wie es denn um den Status quo und die Zukunft der althergebrachten und bekanntesten Branchen des Landes bestellt ist. Dazu folgt abschließend ein kleiner Überblick über die eingangs erwähnten Steckenpferde:

Banken und Versicherungen:

Die Entwicklung in der Finanzbranche stellt sich als äußerst ambivalent dar. Einerseits ist sie auch in der Schweiz, wie fast überall auf der Welt, vom Umbruch durch die Digitalisierung gebeutelt. Filialen müssen geschlossen, Beschäftigte entlassen und Prozesse umstrukturiert werden. Andererseits kann sich aber gerade die Schweizer Finanzbranche nach wie vor ihres guten, hochprofessionellen Rufes erfreuen ‒ auf nationaler wie internationaler Ebene. Zumal gerade die digitalisierte Finanzbranche als ein Zukunftsmarkt gilt. Branchenexperten gehen davon aus, dass das reduzierte Personal künftig spezialisierter sein wird und sich im Bereich der Fintechs immer mehr kleine, innovative Firmen gründen werden. Zudem könnten sich auf dem Schweizer Markt häufiger Banken mit Versicherungen zu allgemeinen Finanzdienstleistern zusammenschließen.

Herstellung von Käse und Schokolade:

Ein zwiegespaltenes Bild ergibt sich aktuell auch beim Blick auf die beiden berühmten Schweizer Klassiker im Bereich der Nahrungs- und Genussmittelindustrie. Während die Milchprodukte der Eidgenossen im Allgemeinen florieren, stehen die Schokoladenproduzenten unter Druck. So hat sich die Beliebtheit der Milcherzeugnisse durch die Corona-Pandemie 2020 noch einmal erhöht, wie der Branchenverband Swissmilk angibt. Beim Käse stieg die Produktionsmenge insgesamt und besonders der Trend zum Frischkäse puscht das Segment. Dagegen hat die Schweizer Schokoladenindustrie zum einen mit dem hohen Importdruck von günstigerer Schokolade aus dem Ausland zu kämpfen. Zum anderen beklagt der Branchenverband Chocosuisse erhöhte Zuckerpreise infolge eines Beschlusses des Schweizer Parlaments, der die Herstellung von Schokolade verteuert und die Importe weiter anheizt. Wie die Entwicklung in beiden Segmenten weitergehen wird, ist noch nicht absehbar.

Uhrenproduktion:

Die schwerste Krise seit ihrem bestehen hat die legendäre Schweizer Uhrenindustrie schon längst hinter sich. Seit die Turbulenzen auf dem Markt der analogen Uhren durch die aufkommende Digitaluhr in den 1980er Jahren überstanden sind, zeigt sich die Traditionsbranche insgesamt stabil. Daran konnte auch ein kurzer Einbruch zu Beginn der Corona-Pandemie infolge damit einhergehender Lieferengpässe nichts ändern. Generell sind Luxusartikel ein globaler Wachstumsmarkt, wovon die Schweizer Edeluhrenmarken mit ihrem weltweit exzellenten Ruf von Präzision und Qualität natürlich besonders profitieren können. Ein Ende scheint nicht in Sicht. Zwar haben kleinere Uhrenmarken tendenziell einen schwereren Stand, sich am Weltmarkt zu behaupten und werden öfter einmal von großen Konzernen aufgekauft. Ebendiese Branchen-Riesen mit ihrer Konzentration auf Luxusuhren sorgen aber dafür, dass die Schweizer Uhrenindustrie mit einer Ausfuhrquote von 95 Prozent der eidgenössische Exportschlager Nummer eins ist.

Tourismus:

Vor allem den Gebirgsregionen, die relativ stabile Zahlen an Ski- und Wandertouristen aufweisen, ist es zu verdanken, dass sich die Schweiz auf ihren Tourismus verlassen kann. Für manche Kantone ist er der wichtigste Arbeitgeber, insgesamt stellt er umsatzmäßig die drittgrößte Exportbranche der Schweiz dar. Natürlich hat die Corona-Pandemie auch dem Schweizer Fremdenverkehr beispiellose Einbußen beschert, doch die Konjunkturforscher der ETH Zürich prognostizieren aufgrund der steigenden Impfraten eine rasche Erholung. Demnach dürften sich die Besuchszahlen aus dem Ausland zur Sommersaison 2022 wieder normalisieren. Bisweilen hat der Inlandstourismus der Branche eine Stütze in der Krise geboten. Auf ihren Stellenwert als attraktives Reiseziel kann die Schweiz langfristig bauen.

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