Schimpansen heilen die Wunden anderer mit Insekten
Die Schimpansen sind unsere nächsten Verwandten, denn sie teilen etwa 98 % ihrer Gene mit uns. Im wahrsten Sinne des Wortes „falsche Menschen“. Als Jane Goodall die Schimpansen zum ersten Mal dabei erwischte, wie sie Werkzeuge benutzten – es handelte sich um Zweige, mit denen sie Termiten aufspürten -, brach für sie eine ganze Welt des Glaubens zusammen. Die Wissenschaft der frühen 1960er Jahre glaubte noch, dass nur Menschen zu einer solchen intellektuellen Leistung fähig seien.
Seitdem wurden mehrere Tiere als fähig anerkannt, Werkzeuge zu benutzen oder sogar herzustellen. Dazu gehören Menschenaffen, Elefanten, Raben und sogar Kraken. Der Schimpanse ist also nicht nur wegen dieser Fähigkeit, die dennoch einzigartig ist, für uns interessant. Was ihn diesmal wieder ins Rampenlicht rückt, ist ein noch viel überraschenderes Verhalten, das im November 2019 zum allerersten Mal beobachtet wurde.
Die Geschichte spielt sich im Loango-Nationalpark (Gabun) ab. Dort beobachtet ein Forscherteam nun schon seit mehreren Jahren das Verhalten einer Gruppe wilder Schimpansen. Suzee, ein Weibchen der Gruppe, entdeckte kürzlich eine Wunde am Fuß von Sia, ihrem jugendlichen Sohn. Nach kurzer Zeit des Nachdenkens fängt sie ein Insekt im Flug nimmt es in den Mund und spuckt es wieder aus, um es auf die Wunde aufzubringen.
Ein äußerst seltenes prosoziales Verhalten
Natürlich ist dies nicht das erste Mal, dass ein Tier bei der Selbstmedikation erwischt wird. Die Menschen tun dies schon seit mindestens 1400 Jahren vor unserer Zeitrechnung. Bären tun es auch. Elefanten, Stare und sogar Bienen auch. In der Regel jedoch durch das Schlucken von Pflanzen oder anderen Substanzen, die Darmstörungen lindern sollen. Schimpansen — wie Bonobos — sind zum Beispiel dafür bekannt, Blätter mit antiparasitären Eigenschaften zu kauen oder zu schlucken.
Aber ein Insekt mit potenziell entzündungshemmenden, antiseptischen oder lindernden Eigenschaften, die Schmerzen lindern könnten auf eine Wunde aufzulegen – und noch dazu auf die Wunde eines anderen Menschen- ist in der Tierwelt nicht üblich. Ein eindeutig prosoziales Verhalten, wie die Forscher sagen. Prosozial wird jedes Verhalten beschrieben, das eher im Interesse der anderen als im eigenen Interesse liegt. Dieses Verhalten ist bei nichtmenschlichen Tieren äußerst selten.
In 15 Monaten genauerer Beobachtung konnten die Forscher dieses Verhalten schließlich 76 Mal dokumentieren. Sowohl bei weiblichen als auch bei männlichen Tieren. Gegenüber verwandten und nicht verwandten Schimpansen. Dies beweist, dass es sich nicht um ein isoliertes Phänomen handelt.
Was sind das für Insekten, die Schimpansen auf ihre Wunden auftragen? Welchen Nutzen haben sie davon? Wie wird dieses Verhalten von einem Individuum auf das andere übertragen? Von einer Generation zur nächsten? Das sind alles Fragen, auf die die Forscher nun versuchen werden, Antworten zu finden. Eines scheint jedoch sicher: Unser nächster Cousin ist gar nicht so dumm!
Urhebender Autor: Nathalie Mayer
Marlene ist seit 25 Jahren Fotografin und Künstlerin. Ihre Leidenschaft für Sprachen und interkulturelle Kommunikation entwickelte sie durch internationale fotojournalistische Arbeiten. Heute nutzt sie ihre weitreichende Erfahrung auch als Korrekturleserin und übersetzt journalistische Artikel vom Französischen ins Deutsche. Marlene stellt sicher, dass jeder Text seine Authentizität bewahrt und an die sprachlichen sowie kulturellen Besonderheiten des deutschsprachigen Publikums angepasst wird.