Wissenschaft

Krieg in der Ukraine: Wissenschaftssanktionen schaden Europa

Der Krieg in der Ukraine macht uns eines schmerzlich bewusst: Der Zeitabschnitt der guten Jahre ist nun vorerst einmal vorbei. Das gilt für alle Bereiche des Lebens. Von Wirtschaft über Finanzen bis zur Wissenschaft; kein Stein bleibt mehr auf dem anderen. Der von Putin initiierte Krieg hat einen unumkehrbaren Prozess ins Rollen gebracht: Die neue Lust an der Autarkie.

“Wir müssen unabhängiger werden.” Ein Satz, den man in den letzten Wochen oft gehört oder gelesen hat. Ob aus der Twitter-Feder des CDU-Vorsitzenden Jens Spahn, aus dem Mund des Bundesministers Habeck im Bundestag oder der Kommissionspräsidentin von der Leyen. Sie alle sprechen aus, wie es in Zukunft in Europa weitergeht.

Europa will unabhängiger werden. Was das für unser zukünftiges Leben – vor allem aber für den Fortschritt in Europa – bedeutet, darüber kann aktuell nur spekuliert werden. Die Vermutungen sind jedoch mehr als düster. Mehr Unabhängigkeit ist eine gute Sache; bringt es uns Europäerinnen und Europäern doch mehr Sicherheit. Werden Lebensmittel, die wir in Europa konsumieren, auch in Europa produziert, können wir Gesundheitskrisen und politische Auseinandersetzungen besser abfedern, und haben zudem auch mehr Kontrolle über Tierwohl und Lebensmittelsicherheit. Wenn wir zusätzlich die Energie, die wir in Europa verbrauchen, auch in Europa produzieren, müssen wir uns nicht mehr auf die Gunst der uns beliefernden Staaten verlassen.

krieg ukraine wissenschaftssanktionen schaden europa 300x169 - Krieg in der Ukraine: Wissenschaftssanktionen schaden EuropaAlles gute Gründe, um sich für ein souveränes Europa stark zu machen. Hat uns der Krieg in der Ukraine vor Augen geführt, dass wir uns im Notfall auf unsere Europäische Gemeinschaft verlassen können, bekommen wir durch ihn aber auch erstmals ein Gefühl dafür, wohin uns der gut gemeinte, vielleicht aber etwas zu selbstbewusste Ruf nach mehr Unabhängigkeit führen kann. In manchen Bereichen, wie etwa in der Wissenschaft, neigen wir doch ein wenig zur Selbstüberschätzung. Übermut tut selten gut. Eine Abschottung, wie sie im wissenschaftlichen Bereich aktuell im Gange ist, könnte gravierende Auswirkungen auf unser Fortkommen in den Bereichen Klimaforschung und IT haben.

Zahlreiche Forschungseinrichtungen wie etwa die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) oder die Max-Planck-Gesellschaft haben in den letzten Wochen ihre wissenschaftlichen Kooperationen mit russischen Wissenschaftlern abgebrochen. Den an den Instituten tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurde deutlich gemacht, dass der Austausch von Daten, Proben und anderem Forschungsmaterial mit russischen Kolleginnen und Kollegen ab sofort nicht mehr erwünscht ist. Die Tatsache, dass man sich mit dem Ende der wissenschaftlichen Beziehungen zu Russland mehr schadet als nützt, scheint angesichts der dramatischen Lage in der Ukraine und dem Gemeinschaftsdruck aus den EU-Ländern zu wenig drängend. Das gilt besonders für den Bereich der Computerwissenschaften.

Auch wenn wir das nicht gerne hören wollen: In der IT hinkt Europa, aber auch die USA, dem russischen Wissensstand seit Jahren hinterher. Seit sieben Jahren in Folge gehen russische IT Expertinnen und Experten als Gewinner aus dem International Collegiate Programming Contest hervor. Die Liste der Gewinner bei Wikipedia lässt wenig Spielraum für die Beantwortung der Frage, wer in Sachen Digitaler Fortschritt die Nase vorn hat. Im Jahr 2019 bestätigte Microsoft nach einer Studie, dass Russland die USA und Europa bei der Umsetzung von Künstlicher Intelligenz bereits überholt hat.

Kein Grund zur Sorge?

Womöglich nicht, aber zumindest ein Grund, sich darüber Gedanken zu machen, was es für Europa bedeutet, eine digitale Souveränität zu propagieren, die es ohne Hilfe von Drittstaaten nicht in der Lage ist, umzusetzen.

Auch die Gewässer-, Umwelt- und Klimaforschung ist seit Beginn des Ukrainekriegs und der damit verbundenen Wissenschaftssanktionen zum Erliegen gekommen. Den Klimawissenschaftlern fehlt der Input von russischen Partnerorganisationen. Ohne russische Hilfe ist die Erwärmung der Arktis ebenso unmöglich zu dokumentieren wie der Rückgang der Vogelpopulation, was bisher über einen Datenaustausch zwischen russischen ISS Sendern und dem deutschen Max-Planck-Institut lief.

Eine bedenkliche Entwicklung. Zumal sich die Wissenschaft nach dem Internationalen Wissenschaftsrat dem Prinzip der Unparteilichkeit verschrieben hat. Die Freiheit der Wissenschaft darf nicht durch politische Auseinandersetzungen eingeschränkt werden. Aber genau das geschieht gerade. Dass dies der Umstand sein könnte, der dem lobenswerten Projekt “Souveränes Europa” einen Strich durch die Rechnung macht, ist bisher scheinbar noch niemanden aufgefallen.

Ukraine Krieg und Wissenschaft: Einige Zahlen

  • 4,5 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer auf der Flucht (Stand 11.04.2022, UNRIC)
  • Verzehnfachung der weltweit vom Klima beeinflussten Naturkatastrophen (Stand 04.03.2022, Welthungerhilfe)
  • 3,5 Millionen Menschen mit Sowjet-Migrationshintergrund in Deutschland (Stand 2019, Mediendienst Integration)
  • 7000 russische Wissenschaftler erheben ihre Stimmen gegen Putin (Stand 04.03.2022, SWR)
  • Verdoppelung der Unwetter weltweit
  • 90 % Rückgang der Brutvogelpopulation in Deutschland (Stand 2020, Tagesspiegel)

Urhebender Autor: Claudia Felbermayer

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