Wissenschaft

In-vitro-Fleisch: Ist das die Ernährung der Zukunft?

Nach Ansicht vieler Forscher sind die Nährstoffe von Fleisch und anderen tierischen Nahrungsmitteln zumindest in verschiedener Hinsicht daran beteiligt, dass sich aus dem Urmenschen der moderne, hochintelligente Homo Sapiens entwickeln konnte – selbst wenn kaum jemand noch behauptet, Fleisch allein habe uns schlau gemacht. Ebenfalls einig sind sich jedoch Wissenschaftler über die Tatsache, wonach der industrialisierte, massenhafte Fleischkonsum, wie er in der Welt seit dem Krieg immer stärker praktiziert wird, zwischen Klimakrise und Zivilisationskrankheiten fast ausschließlich Nachteile verursacht.

In-vitro-Fleisch schickt sich an, einige der schwerwiegendsten Probleme lösen zu wollen. Doch was hat es damit auf sich und: kann es „richtiges“ Fleisch ersetzen? Lesen Sie jetzt alles Wissenswerte dazu.

Was ist In-vitro-Fleisch?

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In-vitro-Fleisch (IvF), umgangssprachlich auch Laborfleisch genannt, ist letztlich das, was passiert, wenn moderne Wissenschaft sich des Themas annimmt. Verschiedene Erfolge in mehreren wissenschaftlichen Disziplinen der vergangenen Jahrzehnte führten zur Möglichkeit, lebende Zellen künstlich zu vermehren.

Bei IvF geschieht dies prinzipiell, indem lebenden Nutztieren sogenannte Myoblasten im Rahmen einer Biopsie entnommen werden. Dabei handelt es sich quasi um eine zelluläre Zwischenstufe zwischen Stammzellen und fertig ausgebildeten Zellen, beispielsweise für Muskeln.

Sie lassen sich einerseits besser kontrollieren als Stammzellen (bei denen beispielsweise das Risiko besteht, sich zu Knochen- oder Knorpelzellen zu entwickeln), andererseits leichter vermehren als bereits fertige Zellen. Das bedeutet zudem eine enorme Vielfalt: Da jedes Tier solche Zellen besitzt, lässt sich In-vitro-Fleisch unbegrenzter Ausprägungen herstellen. Rind und Schwein sind ebenso möglich wie beispielsweise Huhn oder andere sämtliche Fischarten.

Diese Myoblasten werden in speziellen Bioreaktoren mit der Hilfe von Nährstofflösungen zur Vermehrung angeregt. Dadurch entstehen allmählich dünne Schichten, die übereinandergelegt werden. Es handelt sich deshalb in biologischer und geschmacklicher Hinsicht um echtes, tierisches Fleisch. Nur wächst es eben nicht mitsamt einem Tier heran und kann zudem ohne dessen Tötung konsumiert werden.

Welche Probleme sollen sich damit lösen lassen?

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Wie bereits eingangs angedeutet, so hat der moderne, das heißt inflationäre, Fleischkonsum diverse Nachteile. Alle Forschungsanstrengungen für IvF wurden und werden nur deshalb unternommen, um einige der wichtigsten davon abzumildern:

  • Der gigantische Flächenverbrauch, der sich aus dem Zusammenspiel zwischen dem Bedarf der Tierhaltung und dem Anbau von Pflanzen nur zu deren Fütterung ergibt.
  • Die Umweltbilanz des Fleischkonsums, vor allem bezogen auf Wasser- und Energieverbrauch und Treibhausgase wie etwa Methan.
  • Die verschiedenen Nachteile der Massentierhaltung auf die Tiere selbst sowie, über die Nahrungskette, letztlich uns Menschen.

Hier müssen Sie jedoch unterscheiden: In-vitro-Fleisch ist (zunächst) vor allem als Alternative für typisches Billigfleisch aus Massentierhaltung gedacht. Dies, weil diese besondere Form der Tierhaltung die größten Probleme verursacht, da sie durch den extremen Fleischkonsum so große Ausbreitung erlangt hat.

Außerdem, weil IvF noch weit davon entfernt ist, mit allen Formen von Fleisch konkurrieren zu können. Mehr dazu lesen Sie weiter unten im Text. Zunächst einmal beantworten wir Ihnen eine andere wichtige Frage.

Wie gut ist In-vitro-Fleisch aus verschiedenen Blickwinkeln?

Die Aufgabe ist klar. Jedoch muss IvF natürlich beweisen, überhaupt in der Lage zu sein, sie zu erfüllen. Biologisch und geschmacklich ist der Erfolg bereits rein durch die Herangehensweise garantiert. Doch wie sieht es bei anderen Merkmalen aus?

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    Umwelttechnisch: Was die Energiebilanz anbelangt, so ist IvF bereits heute deutlich besser als zumindest Fleisch aus Massentierhaltung. Schon deshalb, weil nicht die riesigen Methanmengen durch Tierausscheidungen anfallen. Allerdings erscheint es unwahrscheinlich, jemals auf ein ähnlich niedriges Niveau wie bei einer rein pflanzlichen Speise zu kommen.

  • Geschmacklich: Fleisch schmeckt nicht nur deshalb wie Rind, Schwein oder Hühnchen, weil es von dieser Tierart stammt. Dahinter steht auch die Art und Weise, wie sich das Tier ernährte. Deshalb schmeckt ein Steak vom hochwertigen grasgefütterten Rind völlig anders als eines von einem Tier, das mit Kraftfutter und ähnlichen Nahrungsmitteln der Massentierhaltung gefüttert wurde. Dieser Steuerungsmechanismus fehlt IvF bis dato völlig, weshalb es völlig neutral nur nach der Tierart schmeckt. Zudem fehlt den Zellen jeglicher Fettgehalt. Da Fett jedoch ein wichtiger Geschmacksträger ist, wird aktuell versucht, IvF durch Hinzugabe von Fettgewebe aus Stammzellen geschmacklich zu optimieren.
  • Tierethisch: Myoblasten lassen sich ohne Tötung und Tierleid entnehmen, insofern ist In-vitro-Fleisch diesbezüglich bereits jetzt ein Gewinn. Aktuell kommt jedoch als Nährstofflösung praktisch ausschließlich sogenanntes Kälberserum zur Anwendung. Dafür wiederum muss sowohl eine Kuh als auch deren ungeborenes Kalb getötet werden. Stärkste Forschungsanstrengungen laufen deshalb momentan darauf hinaus, hier schnellstmöglich einen pflanzlichen Ersatz zu finden. Das heißt, noch ist IvF nicht frei von Tierleid.
  • Qualitativ: Hier hat IvF derzeit ebenfalls noch Schwierigkeiten. Bislang ist es technisch nicht möglich, mehr herzustellen als ein Fleisch, das in Aussehen und Anmutung einem äußerst fein gekutterten Hackfleisch entspricht. Festes Fleisch, wie es beispielsweise in einem Steak steckt, lässt sich derzeit noch nicht herstellen. IvF-Gerichte ähneln deshalb bislang Frikadellen und Ähnlichem.

Zudem müssen Sie wissen, dass es sich aktuell (Frühjahr 2022) nach wie vor nur um ein stark von verschiedenen Seiten gefördertes und von zahlreichen Startups betriebenes Forschungsprojekt handelt. Bislang servieren es beispielsweise nur einige wenige Restaurants in Singapur und Israel und selbst dort nur probeweise.

Außerdem sind die Preise pro Kilogramm noch auf dem Niveau von hochwertigem herkömmlichem Fleisch, weil es noch keine fertiggestellte industrielle Herstellung gibt. In-vitro-Fleisch wird definitiv bald eine echte Marktreife erfahren, erste Hersteller wollen noch 2022 Zulassungsanträge in den USA einreichen. Momentan steht die Welt jedoch erst an der Schwelle zu dieser neuen Ära.

Gibt es andersgelagerte, schneller verfügbare Alternativen?

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In-vitro-Fleisch ist explizit dazu gedacht, Fleisch aus Massentierhaltung in absehbarer Zukunft (= 10, 20 Jahre) weitgehend zu ersetzen, um damit den weltweit steigenden Fleischhunger abfedern zu können. Bis wir uns jedoch an einem Punkt befinden, an dem es solches Fleisch zumindest beim Discounter oder im Supermarkt gibt, werden trotz aller Anstrengungen sicherlich noch drei, vier, vielleicht sogar fünf Jahre verstreichen – nicht zuletzt, weil dies ein völlig neues Feld aus zulassungsrechtlicher Sicht ist.

Wenn Sie bis dahin nicht warten möchten, aber auch nicht auf eine gänzlich vegetarische oder gar vegane Ernährung umsteigen wollen, können Sie aber bereits jetzt sehr viel dafür tun, um alle angestrebten Vorteile von IvF für sich persönlich umzusetzen:

  • Seltener Fleisch essen: Der wichtigste Grund, warum überhaupt eine so extreme Massentierhaltung mit allen weiteren Nachteilen betrieben wird, ist der Fleischhunger der Welt in quantitativer Hinsicht. Wer seltener (Billig-) Fleisch und Fleischwaren konsumiert, tut sich, der Umwelt und den Tieren selbst etwas Gutes.
  • Nur hochwertiges Fleisch kaufen: IvF wird in absehbarer Zeit nur (Hack-) Fleisch aus der typischen Discounter-Kühltheke ablösen können. Insbesondere, wenn Sie sowieso weniger Fleisch essen wollen, sollten Sie diese Gelegenheiten zu einem echten Festmahl machen. Solches Fleisch kauft man jedoch nicht beim Discounter, sondern bei Fachleuten und aus nicht minder kontrollierter Herkunft ohne Pharmazeutika und nicht tiergerechte Ernährung. Solche Tiere wurden artgerecht gehalten, bekamen kein Kraftfutter, sondern Gras, Kräuter und andere hochwertige Futtermittel. Dadurch schmeckt ihr Fleisch unter anderem völlig anders und besser.
  • Schonend zubereiten: Fleisch aus Massentierhaltung ist nicht zuletzt deshalb ungesünder im Vergleich zu hochwertigerer Ware, weil es neben chemischen Inhaltsstoffen unnatürlich stark fettreich ist – eine zwangsläufige Folge von Züchtung und Ernährung. Bei hochwertigerem Fleisch findet sich zwar auch Fett, jedoch ist dieses intramuskulär besser verteilt und entsteht nur als Folge einer natürlichen Ernährung. Bei verschiedenen Fleischsorten und -cuts ist ein derartiger Fettgehalt sogar ein wichtiges Qualitätsmerkmal. Zudem kann es durch verschiedene Techniken noch besser zubereitet werden, sodass nur noch derjenige Fettanteil verbleibt, den Sie wirklich als Geschmacksträger darin haben wollen.

All das hat ebenfalls eine Auswirkung auf Iv-Fleisch: Je mehr Menschen sich von Billigfleisch aus Massentierhaltung abwenden, desto größer wird der Druck auf diese Hersteller und desto mehr wird in die Entwicklung von In-vitro-Fleisch investiert.

Jetzt weniger, dafür besseres Fleisch zu konsumieren, sorgt also dafür, in kürzerer Zeit eine tierleidfreie und deutlich gesündere Form von „Billigfleisch“ bekommen zu können. Eine Alternative zu so hochkarätigen Klassikern wie einem Steak vom Kobe-Rind oder einem traditionell (nicht industriell) hergestellten Serrano-Schinken wird es wohl durch IvF in den nächsten Jahrzehnten eher nicht geben. Aber darauf zielt aktuell auch keine Forschungsanstrengung ab. So hochwertiges Fleisch ist nicht das Problem, weil sein Anteil am Weltmarkt so gering ist. Momentan und noch für viele Jahre soll lediglich Billigfleisch abgelöst werden. Und dafür hat In-vitro-Fleisch, zumindest bei weiterer Erforschung und tierleidfreien Nährstofflösungen, die allerbesten Karten.

Urhebender Autor: Redaktion Futura

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